Ku-Klux-Klan-Mord: 40 Jahre Warten auf Gerechtigkeit (2024)

  • X.com
  • Facebook
  • E-Mail
  • X.com
  • Facebook
  • E-Mail
  • Messenger
  • WhatsApp

New York - "Eins sage ich Ihnen", murmelt die 89-jährige Goodman. "Es war nicht leicht." Sie sagt das nach kurzem Zögern, als falle es ihr immer noch schwer, darüber zu reden. "Lange sah ich keinen Grund mehr zum Leben. Ich dachte, das war's also, das ist mein Ende. So viel Verlust. So viele, die ich liebte, nicht mehr da. So viel Schmerz. Ich wollte nicht mehr."

Doch Carolyn Goodmans Fassung bröckelt nur einen Wimpernschlag lang. "Und als nächstes", fährt die Frau mit dem hell getönten Kurzhaar fort, ihre Stimme wieder fest und klar, "dachte ich mir, ach was, wovon redest du?" Und damit habe sie nach vorne geblickt, bis heute. "Irgendwie ging's einfach weiter."

Inzwischen ist sie froh, dass sie durchgehalten hat. Nicht nur, dass sie gerade die Geburt ihrer ersten Urenkelin erleben konnte. Viel mehr noch beherrscht sie dieser Tage vor allem ein Gedanke. Es ist der Gedanke, dass der Mord an ihrem Sohn Andrew jetzt also doch noch gesühnt werden könnte - nach über 40 Jahren.

Der Haupttäter kam davon

Es ist ein lebenslanger Kampf, der damit zu Ende geht. Ein Kampf, von dem nicht zuletzt die zahllosen gerahmten Schwarzweißfotos in Goodmans Wohnung auf der Upper West Side Manhattans zeugen, darunter auf einer Anrichte auch jenes berühmte Porträt Andrews, das durch die Presse ging - darauf ein ernster Student mit Seitenscheitel. "Ich habe es immer gewusst", sagt Goodman im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Als ich es hörte, da war es keine große Überraschung. Die Zeiten haben sich geändert. Unser Land hat sich geändert."

Wie sich die Zeiten geändert haben, davon zeugt er in der Tat, der stille Leidensweg von Carolyn Goodman. Es begann im Juni 1964, auf dem Höhepunkt der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Da wurden im tiefsten Mississippi drei junge Männer vom Ku-Klux-Klan (KKK) ermordet: Michael Schwerner, 24, James Chaney, 21, und Andrew Goodman, 20, Carolyn Goodmans Sohn. Ein Hilfssheriff höchstpersönlich lockte sie in den Hinterhalt.

Der Fall inspirierte etliche Bücher und 1988 den Hollywood-Klassiker "Mississippi Burning", mit Gene Hackman in der Hauptrolle. Restlos geklärt wurde er jedoch nie. Ein paar KKK-Schergen kamen mit milden Haftstrafen davon. Der mutmaßliche Haupttäter, ein rassistischer Baptistenprediger und KKK-Führer namens Edgar Ray Killen, blieb dagegen unbestraft.

Als der Süden brannte

Bis jetzt: Am 6. Januar wurde Killen, heute ein 80-jähriger Greis, in Mississippi verhaftet und wegen dreifachen Mordes angeklagt. Ende März soll ihm der Prozess gemacht werden. "Dann", sagt Goodman, "habe ich Frieden."

Sie erinnert sich noch gut an jenen Sommer 1964, den "Freedom Summer". Der Süden brannte, tausende meist weiße Studenten reisten von überall her nach Mississippi, um für das Wahlrecht der Schwarzen zu kämpfen. Der Ku-Klux-Klan schlug unerbittlich zurück, mit Lynchmorden, Überfällen, Brandanschlägen.

Die Goodmans, New Yorker Juden mit Wurzeln im Elsass, waren immer schon progressiv-liberal gewesen. Bereits als junge Frau hatte sich Carolyn Goodman gegen den Rassenhass engagiert. "Man konnte doch nicht den Mund halten", sagt sie. "So wurde ich erzogen."

"Mom, ich muss los"

Und in diesem Sinne zog sie auch die eigenen Kinder groß. Als es Andrew 1964 nach Mississippi zog, hatte sie zwar gleich ein schlechtes Gefühl. "Es war schwer, aber ich wollte keine Heuchlerin sein", sagt Goodman. "Ich musste ihn gehen lassen."

Andrew war aufgeweckt, intelligent, glaubte an das Gute in den Menschen. Er spielte Klarinette und trat in Off-Broadway-Theatern auf. Seine Liebe galt aber der Politik: Schon als Schüler nahm er an Demonstrationen gegen die Rassentrennung teil.

Die Mutter steckte ihm noch ein paar nützliche Dinge in die Tasche - darunter, in seltsamer Vorahnung, ein Päckchen Pflaster - und unterhielt sich ein letztes Mal mit ihrem Sohn, "was man da eben so sagt als Mutter". Die Fernsehbilder jener Tage hätten ihr "Herz sinken" lassen: brennende Kirchen, flammende Kreuze, ein wütender Mob. "Mom, es passieren schreckliche Dinge", habe Andrew gesagt. "Ich muss los." Sie verstand, sie hätte es ja auch getan. Sie weinte trotzdem.

Der Hinterhalt des Hilfssheriffs

Was dann geschah, liegt in Teilen bis heute im Dunkeln. Am Abend des 20. Juni 1964 kam Andrew in Mississippi an, um bei der Registrierung schwarzer Wähler für die Präsidentschaftswahl zu helfen. Mit dem schwarzen Handwerker James Chaney, seit 1963 für die Bürgergruppe Congress of Racial Equality aktiv, und dem weißen Sozialarbeiter Mickey Schwerner aus New York, der schon seit Jahresbeginn in Mississippi war, machte er sich in einem blauen Ford-Kombi auf den Weg.

Es war Schwerners Name, der ihnen zum Verhängnis wurde. Schwerner war der erste weiße Bürgerrechtler, der sich auf Dauer in den Süden gewagt hatte. In der Kleinstadt Meridian baute er ein Gemeindezentrum auf. Spätestens als er den Boykott eines Krämerladens organisierte, wurde er zum erklärten Todfeind des KKK. Die Kapuzenmänner nannten ihn "Goatee", wegen seines Ziegenbarts. KKK-Chef Sam Bowers ordnete seine "Eliminierung" an.

Auf dem Weg zu einer Kirche, die vom KKK in Brand gesteckt worden war, fielen Schwerner, Chaney und Goodman dem Hilfssheriff Cecil Price in die Hand, selbst ein Klansmann. Wegen "Raserei" hielt Price sie stundenlang im County Jail fest und alarmierte seine Kumpel. Erst als sich eine KKK-Bande unter Anführung von Edgar Ray Killen in aller Ruhe formiert hatte, ließ Price die drei Ahnungslosen "frei".

Milde Urteile für die KKK-Schergen

Sie kamen nicht weit. Zwei Autos voller Klan-Schergen folgten ihnen durch die Nacht und holten sie, assistiert vom Hilfssheriff, auf einer einsamen Landstraße ein. Erst schlugen sie Schwerner tot. Dann erschossen sie Chaney und Goodman. Die Leichen verscharrten sie auf einer Farm, den Kombi steckten sie an und versenkten das verkohlte Wrack im Sumpf.

44 Tage wartete Carolyn Goodman in New York auf Nachricht. 44 Tage suchte das FBI nach den Verschwundenen, Justizminister Robert Kennedy machte den Fall zur Chefsache. Dann klingelte in der 86th Street das Telefon. "Es war, glaube ich, ein Zeitungsreporter, der mir sagte, dass Andys Leiche gefunden wurde", erinnert sich Goodman. Als der Sarg überführt wurde, brach Goodman am Flughafen in den Armen ihres Mannes Robert zusammen. Andrew wurde in Queens beigesetzt, auf seinen Grabstein ließen sie meißeln: "Er reiste für kurze Zeit zur Sonne und zeichnete die klare Luft mit seiner Ehre." Carolyn bekam Hunderte Beileidsschreiben. Aber auch Briefe wie: "Er hat gekriegt, was er verdiente."

Erst drei Jahre später kamen 18 der beteiligten KKK-Männer vor Gericht. Sieben wurden wegen "Verschwörung" zu ein paar Jahren Haft verurteilt, acht wurden freigesprochen, einige machten später kommunale Karriere. Bei den restlichen drei konnten sich die (ausnahmslos weißen) Geschworenen nicht einigen, auch sie kamen frei. Einer davon war Edgar Ray Killen. Er brüstete sich später laut, "die Kommunisten aus Mississippi ferngehalten" zu haben.

Keine Rachegefühle

Dass es Killen so verspätet doch noch an den Kragen gehen soll, ist nach Worten des Staatsanwalts Marc Duncan die Frucht jahrelanger Ermittlungen. Carolyn Goodman tat das Ihre dazu. Nach Andrews Tod begann sie, sich noch mehr zu engagieren. Sie gründete mit ihrem Mann eine Stiftung in Andrews Namen, die seither Hunderttausende Dollar für Bürgerrechtsprojekte gesammelt hat. Sie arbeitete an einem Dokumentarfilm mit. Und sie machte ihren Doktor in Psychiatrie.

Es waren schwere Jahre. In kurzer Zeit verlor sie nicht nur den Sohn, sondern auch ihren Ehemann, der 1969 an einer Gehirnblutung starb, und den Schwiegervater, den sie verehrt hatte. Ihre zwei anderen Söhne und ihre nunmehr neun Enkelkinder gaben ihr Halt.

Rachegefühle hat Goodman keine, und die Todesstrafe lehnt sie ab. Sicher, sie hofft, dass nun "endlich der Gerechtigkeit Genüge getan" werden kann. Sie wünscht sich aber auch, dass Edgar Ray Killen hinter Gittern doch noch "zu einem besseren Menschen" werde, damit "andere von ihm lernen können". Denn eins weiß sie selbst gut: "Wer lange mit seinem Gewissen eingesperrt ist, der wird weiser."

Ku-Klux-Klan-Mord: 40 Jahre Warten auf Gerechtigkeit (2024)

References

Top Articles
Cream of Wheat Recipe - The Six Figure Dish
How to Make Cream of Wheat: A Step-by-Step Guide to a Warm and Comforting Breakfast
Hometown Pizza Sheridan Menu
Use Copilot in Microsoft Teams meetings
Lowe's Garden Fence Roll
Craigslist Portales
10 Popular Hair Growth Products Made With Dermatologist-Approved Ingredients to Shop at Amazon
Aiken County government, school officials promote penny tax in North Augusta
Words From Cactusi
Tripadvisor Near Me
Craigslist Dog Kennels For Sale
Oc Craiglsit
Mini Handy 2024: Die besten Mini Smartphones | Purdroid.de
Saberhealth Time Track
2016 Ford Fusion Belt Diagram
Gino Jennings Live Stream Today
Katherine Croan Ewald
Divina Rapsing
Lonesome Valley Barber
Amazing deals for DKoldies on Goodshop!
Cvs El Salido
Barber Gym Quantico Hours
Sef2 Lewis Structure
Www.dunkinbaskinrunsonyou.con
What Equals 16
Hefkervelt Blog
Student Portal Stvt
Spirited Showtimes Near Marcus Twin Creek Cinema
Nikki Catsouras: The Tragic Story Behind The Face And Body Images
Mosley Lane Candles
Egg Crutch Glove Envelope
Truis Bank Near Me
The Pretty Kitty Tanglewood
Free Robux Without Downloading Apps
Unity Webgl Player Drift Hunters
#1 | Rottweiler Puppies For Sale In New York | Uptown
Babylon 2022 Showtimes Near Cinemark Downey And Xd
Instafeet Login
Dadeclerk
ENDOCRINOLOGY-PSR in Lewes, DE for Beebe Healthcare
Vocabulary Workshop Level B Unit 13 Choosing The Right Word
“To be able to” and “to be allowed to” – Ersatzformen von “can” | sofatutor.com
Smite Builds Season 9
Brauche Hilfe bei AzBilliards - Billard-Aktuell.de
Po Box 101584 Nashville Tn
Gw2 Support Specter
Craigslist Pet Phoenix
Xre 00251
Rocket League Tracker: A useful tool for every player
Wzzm Weather Forecast
Pas Bcbs Prefix
Download Twitter Video (X), Photo, GIF - Twitter Downloader
Latest Posts
Article information

Author: Dan Stracke

Last Updated:

Views: 5747

Rating: 4.2 / 5 (43 voted)

Reviews: 82% of readers found this page helpful

Author information

Name: Dan Stracke

Birthday: 1992-08-25

Address: 2253 Brown Springs, East Alla, OH 38634-0309

Phone: +398735162064

Job: Investor Government Associate

Hobby: Shopping, LARPing, Scrapbooking, Surfing, Slacklining, Dance, Glassblowing

Introduction: My name is Dan Stracke, I am a homely, gleaming, glamorous, inquisitive, homely, gorgeous, light person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.